Fotoauftrag ablehnen?

Warum ich auch mal einen Fotoauftrag ablehne? Ganz bestimmt nicht, weil ich es mir leisten könnte. Im Gegenteil, eigentlich besteht mindestens 50 Prozent meiner Arbeit (und die fast aller Fotografen) darin, Aufträge zu generieren. Gleicht es da nicht einem betriebswirtschaftlichen Harakiri, eine Kundenanfrage abzulehnen? „Ganz schön arrogant!“ – so hat es ein Bekannter mal formuliert, als ich ihm erzählte, einen lukrativen Job aufgrund eines schlechten Gefühls abgelehnt zu haben. Ich hielt dagegen und sagte: „Ganz schön arrogant, wer sich anmaßt, JEDEN Job machen zu können!“

Worauf ich hinaus möchte: Ich habe bisher noch niemanden kennengelernt, der alles kann und weiß. Und zwar quer durch alle Berufsgruppen. Es gab einige Zeitgenossen, die GLAUBTEN alles zu können und zu wissen. Meistens sogar besser. Wir alle kennen sie: Die Großsprecher und Selbstlober, die Nichts-Dahinter–Seier und Hinterher-Zurückruderer. Erst wird versprochen, später kleingeredet.

Der Zweifel gibt mir Sicherheit

Ich komme als Verkäufer nicht gut zurecht. Denn da muss man das vermutlich können. Mit viel Charisma und noch mehr Überzeugung dem Kunden seinen Bedarf einreden, ihn davon überzeugen, was er heute morgen selbst noch nicht wusste. Zweifel? Nicht mal in Spurenelementen vorhanden! Bei mir ist das anders. Ich bin ein Leisetreter. Und überhaupt: Verkäufer wollte ich nie werden. Fotograf schon.

Kein Grund, die Flinte (in diesem Fall die Kamera) ins Korn zu werfen! Ich bin der festen Überzeugung, dass man in einem kreativen Beruf nur wirklich gut sein kann, wenn man für eine Sache brennt. Und was ist mit dem Zweifel? Der gehört – in gesunder Ausprägung – unbedingt dazu! Ja, mir gibt Zweifel Sicherheit. Klingt wie ein Widerstreit, ist es aber nicht. Denn: Nur wer seine Arbeit immer wieder hinterfragt, die Ergebnisse selbstkritisch begutachtet, kann sich weiterentwickeln. Wer mit 80 Prozent zufrieden ist, kann niemals hundertprozentige Arbeit abliefern – so einfach ist das.

Um realistisch (und bei den 100 Prozent) zu bleiben: Jeder Fotograf ist auf der lebenslangen Suche nach dem perfekten Foto. Ein Foto, wo ALLES stimmt. Ich habe es nach 20 Jahren leidenschaftlicher Fotografie bisher nicht geschafft, so ein Foto zu machen. Zumindest aus meiner Perspektive betrachtet. Ich bekomme viel Lob für meine Arbeiten, wische die aber meistens mit einem „…ja…, doch… aber hier hätte das Licht noch einen Tick mehr von der Seite fallen können…“ beiseite. Man könnte das auch Perfektionismus nennen, da schwingt allerdings irgendwie immer etwas Getriebenes mit.

Und das Business?

Bevor nun der Eindruck der Unprofessionalität entsteht, muss ich gestehen, dass ich natürlich auch strategisch vorgehe. Ich plane meine Shootings vorab, ich betreibe Location-Scouting, ich versuche, die Beweggründe der fotografierten Personen für das Shooting zu ergründen, all das. Und ich habe einen Grundsatz für meine Aufträge: under promise and over deliver. Bedeutet: Ich verspreche weniger als ich halten kann und liefere mehr als ich versprochen habe. Manchmal blende ich dabei sogar die Ebene des betriebswirtschaftlichen Denkens aus und bringe mich weit über Gebühr ein. Dafür halte ich gleich meine zweite Maxime bereit: Lieber Geld verlieren als das Vertrauen des Kunden. Beides zusammen zahlt sich am Ende in Kundenglücklichkeit aus und wie wichtig die ist, lernt jeder BWL-Student im ersten Semester.

Und hier schließt sich der Kreis zu meiner eingangs erwähnten Einstellung bezüglich der Ablehnung von Fotoaufträgen. Aufträge, die nicht mein Spezialgebiet sind, für die ich mich verbiegen müsste, die meiner Philosophie zuwider laufen, kann ich vermutlich nur schwer so erfüllen, dass ich von nachhaltig zufriedenen Kunden ausgehen darf. Weiterempfehlungen sind meine Währung, nicht das schnelle Geld.

Kinder mit Tränen in den Augen

Konkret? Konkret: Vor einiger Zeit erhielt ich die Anfrage eines Kindergartens, um dort für Mutti und Vati die klassischen Kinderbilder zu machen. Technisch wäre das weder aus fotografischer Sicht noch in Hinblick auf die Bestellabwicklung problematisch geworden. Finanziell hätte sich das durchaus gelohnt. Die Krux an der Sache war die Anzahl der Kinder und die zur Verfügung stehende Zeit. 60 Kinder in zweieinhalb Stunden. Während andere da sofort das Klingeln in der Kasse hören, sah ich so eine Art Massentierhaltung. Pro Kind hätten mir rechnerisch 150 Sekunden zur Verfügung gestanden. Ganz egal, ob die armen Kids Tränen in den Augen oder Unbehagen im Herzen gehabt hätten – 150 Sekunden! Ich habe den (lukrativen) Auftrag abgelehnt. So möchte ich nicht arbeiten. Die Moral von der Geschichte: Einige Monate später habe ich in einem Waldkindergarten die Kids fotografiert. Halb so viele Kinder in doppelter Zeit. Das hat in jeder Hinsicht Spaß gemacht und wo Tränchen flossen, blieb Zeit, um ein bisschen killekille zu machen.

Und auch eine Modestrecke habe ich nicht angenommen, die Nackedei-Anfragen lehne ich ab und selbst wenn einfach „die Chemie“ nicht stimmt, denke ich nicht allzu lange darüber nach. Und da, wo alles passt, punkte ich mit Biss, Durchhaltevermögen und vollem Einsatz. Sich selbst treu bleiben – vielleicht ist das ganz am Ende mehr Wert als volle Auftragsbücher…

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