St. Moment Agentur: Kirche, Kiez & Kneipentrauung
Hamburgs sündige Meile, die Reeperbahn, hat mit der Kirche ungefähr so wenig zu tun, wie die Mafia mit dem Fiskus. Hier Rotlicht, Alk und Thekengespräch, dort Kerzenlicht, Wein und Glaubensbekenntnis. Zwei Welten, die nicht unterschiedlicher sein könnten und in denen die eine von der anderen behauptet, ein ungewöhnlicher Ort zu sein. Nur: Ist diese Denke tatsächlich noch zeitgemäß in einer modernen Gesellschaft? Die evangelische Kirche in Hamburg sieht das nicht so und geht in die Offensive. Die Nordkirche möchte mit der St. Moment Agentur mehr Menschen dafür begeistern, sich bei bedeutenden Lebensstationen wie Hochzeit, Taufe und Bestattungen auch an ausgefallene Orte begleiten zu lassen.
Aber wer weiß davon, dass eine Taufe am Baggersee ebenso möglich ist, wie die Trauerfeier im Lieblingscafé oder eben eine Hochzeit an der Theke? Dazu gründete die evangelische Kirche in Hamburg im vergangenen Jahr die „Ritualagentur“, die das den Menschen bekannt machen soll. Jetzt ist 2022 und aus dem etwas sperrigen Arbeitstitel „Ritualagentur“ wird heute mit offizieller Pressemeldung die St. Moment Agentur für Hochzeit, Taufe & Bestattungen. Der passende Claim dazu: „Dein Leben, dein Moment!“
St. Moment Agentur: Vier gewinnt!
Mit insgesamt vier Pastoren und Pastorinnen geht die evangelische Kirche in Hamburg das Vorhaben St. Moment an. Pastorin Angelika Gogolin, aus der kleinen Brunstorfer Kirchengemeinde am Rande von Hamburg, hatte sich im vergangenen Jahr auf eine der zu vergebenen Stellen beworben und wünscht sich, die Idee ganz offiziell zum Erfolg bringen zu dürfen. Das kommt nicht von irgendwoher: Die sympathische Pastorin fühlt sich in ihrer Freizeit in den kultigen Bars und Clubs auf Hamburgs Reeperbahn wohl. Warum also nicht beides miteinander verbinden? Eine Hochzeitslocation muss ja nicht zwingend als geleckte Atmosphäre mit behandschuhtem Oberkellner im Stil eines vornehmen Schiffs-Stewards daherkommen. Heiraten im Freudenhaus? Daraus könnte aus Angelika Gogolins Sicht was werden! (Zum Freudenhaus an späterer Stelle mehr.) Herzlich, rau und geradeaus – wem das nicht etepetete genug ist, hat auf St. Pauli nichts verloren!
Kneipentrauung: Fotoreportage auf St. Pauli
Ganz von vorne: Pastorin Gogolin hat sich bei der Nordkirche auf eben diese Stelle beworben. Ganz offiziell. Die Antwort kam prompt – mit Hausaufgabe: Eine Hochzeit in einer Bar konzeptionieren. Weil Praxis schon immer die beste Theorie war, entschließt sich Angelika dazu, bereits vor ihrem Vorstellungsgespräch das Vorhaben in verschiedenen Bars und Kneipen auf der Reeperbahn zu bewerben und diese am besten gleich mit ins Boot zu holen.
Die Barleiter vom „Schmidt Theater“ am Spielbudenplatz, „Zum Windjammer“ in der berühmten Davidstraße und vom „Freudenhaus St. Pauli“ in der Hein-Hoyer-Straße spricht Pastorin Gogolin einfach ein paar Tage vorher an, zur Kneipe „Fasan“ in Eimsbüttel stellt eine Freundin den Kontakt her. Was für ein großartiges Projekt! Und jetzt komme ich ins Spiel: Ich muss mich nicht lange selbst überreden, als Pastorin Angelika Gogolin mich fragt, ob ich den Abend in Hamburgs weltberühmtem Rotlichtviertel in einer Fotoreportage festhalten könnte. Anschnallen! (Extra-Tipp: Ich habe vor einigen Monaten Angelika Gogolin für ein freies Projekt als eine von fast 30 Freiwilligen fotografiert. Hier kannst du dir das Ergebnis anschauen: Charakterportraits)
Schmidt Theater
Verabredet sind wir im Schmidt Theater an der Hausbar – 20:30 Uhr. Weil auf St. Pauli das „Du“ die einzig richtige und akzeptierte Ansprache ist, heißt Pastorin Angelika Gogolin ab jetzt nur noch Angelika. Für heute und immer: Partners in Crime! Angelika ist etwas zu früh dort, schickt mir eine Nachricht. „Bin schon da. Ziehe mich noch um!“ Mit kleinem Schultergepäck (eine Kamera, zwei lichtstarke Objektive) bin ich auch gleich da. Angelika empfängt mich vis-à-vis der Bar im Talar und mit dem breitesten Grinsen, welches ich je bei ihr gesehen habe. Man kann ihr Brennen für das Projekt St. Moment fast körperlich spüren – toll.
Die meisten Gäste ignorieren uns, was die angenehmste Form der Akzeptanz ist. Manche blicken verstohlen. Eine Frau im Priesterkleid? Ernst oder Spaß? Fetisch oder fromm? Und noch bevor ich meine Kamera ausgepackt habe, traut sich ein Ehepaar zu fragen. Angelika erklärt, auf der anderen Seite aufrichtiges Interesse. Der Nebentisch klinkt sich ein, nach wenigen Minuten sind alle im Thema. Wow, so schnell möchte ich auch mal ins Gespräch kommen!
In der Hausbar vom Schmidt Theater am Spielbudenplatz kommt Angelika Gogolin schnell mit Frauke und ihrem Begleiter ins Gespräch. Kurz darauf klinkt sich auch der Nebentisch ein.
Hochzeiten mit der St. Moment Agentur im Schmidt Theater?
Jetzt das formelle Gespräch über die St. Moment Agentur mit Serviceleiter Jacek, der mit gezwirbeltem Bart (wo sieht man sowas noch?) hinter der Theke steht. Ich höre mit einem Ohr hin, bin gedanklich aber noch in meine Kameraeinstellungen vertieft. Alles geht so schnell, es gibt kein ankommen, eingrooven, im Flow sein, wie es bei den meisten Fotoaufträgen üblich ist. Denn das zieht sich durch den Abend: Wo Angelika in ihrer Robe auftaucht, ist sie sofort im Gespräch. Im tiefen Gespräch! Zugegeben, nicht jeder ist grundsätzlich kritiklos. Aber Wohlwollen ist in erheblichem Maß vorhanden. Und da soll nochmal jemand sagen Kirche wäre Kokolores!
Jedenfalls: Bei Jacek läuft Angelika offene Türen ein. Hochzeiten im Schmidt Theater? Jederzeit – alles kein Problem, sehr gerne! Ich würde sagen: „Volle Punktzahl, Angelika!“
Serviceleiter Jacek ist offen für eine Kooperation mit der St. Moment Agentur im Schmidt Theater – ein guter Start in den ereignisreichen Abend!
Kultkneipe „Zum Windjammer“
Nächste Station: „Zum Windjammer“ in der Davidstraße, nicht weit von Hamburgs berühmter Davidwache entfernt. Die Begrüßung durch Barfrau Izabella „Izi“ ist warm und herzlich. Wir werden gedrückt und fühlen uns auch so. Der Kiez ist ehrlich, wenn man mit ehrlichen Absichten kommt. Izi würde sich sooo über Hochzeiten der St. Moment Agentur in ihrer Kultkneipe mit über vierzigjähriger Kiezgeschichte freuen! Im Hinterzimmer steht sogar noch die Hochzeitsdeko einer Trauung vor langer Zeit. Hier sprechen Angelika und Izi über die Pläne, an Izis Bar kirchliche Hochzeiten zu vollziehen. Und auch hier: Schon bald bekommt die Unterhaltung Tiefgang. Ich mag nicht unterbrechen, schalte das Auslösegeräusch der Kamera aus. Irgendwann traue ich mich: „Ähem.., könnten wir die Hochzeitsdeko nicht dort an der Wand, über euren Köpfen, aufhängen? Wäre cool für’s Foto!“ Wir können und machen’s!
Die super-herzliche Bardame Izi würde sich riesig über kirchliche Hochzeiten mit der Agentur St. Moment in ihrer Kultkneipe „Zum Windjammer“ freuen!
St. Moment Agentur: „Dein Leben, dein Moment!“
Zurück am Tresen lernen wir Olli kennen. Der legt eigentlich Platten auf, heißt dann „DJ PartyOlli“. Après Ski, Mallorca, Stadtfest – diese Nummer. Hier und heute ist er ganz gechillt, trinkt Drittel-Astra aus der Flasche und findet die Idee mit den Trauungen gar nicht ganz schlecht. Netter Typ! Und dann ist da noch Weronika. Weronika mit W, heute erstmalig Gast bei Izi. Weronika würde SO-FORT in einer Bar heiraten, wüsste aber nicht wen. Findet sich, ganz sicher. Irgendwann. Vielleicht schon heute Abend. Man weiß ja nie. Ach, im Windjammer hätte ich den ganzen Abend bleiben können. Unser nächster Stop wartet. Nütztjanix.
Durch die Tür geluschert – Angelika im Gespräch mit Olli.
Heute ist Olli extrem chillig, er kann aber auch anders! Als DJ PartyOlli begeistert er sonst prall gefüllte Partyzelte.
Passt irgendwie zum Thema…
Weronika würde so-fort (!) für eine Trauung auf der Reeperbahn zusagen! Gute Sache, die Idee mit der St. Moment Agentur der evangelischen Kirche in Hamburg.
Es wird sündig: Das „Freudenhaus St. Pauli“
Weiter, immer weiter – wir gehen ins Freudenhaus. Genauer: In die Bar „Freudenhaus St. Pauli“, nicht ins echte. Bardame Natascha nimmt sich Zeit für Angelika, bringt Wasser an den Tisch. „Ach Gott, ach Gott. Fotos ohne Lippenstift, ich trage doch sonst Maske den ganzen Abend. Nun ja, ist ja für eine gute Sache!“ Zur Kirche hat Natascha ein ganz praktisches Verhältnis. Die Kita für den Nachwuchs ist eine tolle Sache, mit der Kirche an sich hat die auffallend herzliche Wirtin keine Berührungspunkte. Aber klar, eine Fürbitte würde Natascha gerne im Gottesdienst mal sprechen. „…und das mit der Kneipentrauung zwischen all dem sündigen Zeugs hier, ist eine klasse Idee! Ritualagentur? Gerne!“ (Übrigens: Hier geht es zu einer interessanten NDR-Reportage über Thekenfrau Natascha: Die Nordreportage)
„Cheers!“ Thekenfrau Natascha nimmt sich Zeit für ein Gespräch mit Pastorin Angelika.
Ihre Augen verraten: Angelika brennt für die Idee der St. Moment Agentur!
Trinken auf der Kirchenbank
An der Bar gibt es doch noch einen gemeinsamen Nenner von Kirche und Kiez: Bei den Barsitzen handelt es sich um eine alte Kirchenbank, die hier nun zweckentfremdet zum Trinken einlädt. Wer hätte das gedacht? Heute sitzen hier Stephan und Gattin Danni. Sie trinken ein gepflegtes Gläschen und rauchen selbstgedrehte Zigaretten. Der Beweis, dass die Welt klein ist: Stephan kennt das kleine Dorf mit seiner Elisabeth-Kirche, in der Angelika zum jetzigen Zeitpunkt Pastorin ist. Das aufgeschlossene Pärchen erklärt sich für eine Segnung durch Angelika bereit, was mir zu einem großartigen Foto verhilft.
Pastorin Angelika hinterm Tresen im Freudenhaus. Der Kiez ist ihr heilig – darf man das so schreiben?
Dass Stephan und Danni an diesem Abend im Freudenhaus gesegnet werden, hätten sie sich vorab wohl kaum denken können.
Fasan – die Sperrstunde naht!
Unsere letzte Station führt uns in den Stadtteil Eimsbüttel, in die Kneipe Fasan. Wir kommen gerade noch rechtzeitig kurz vor der Corona-Sperrstunde. Uns bleibt eine gute Viertelstunde. Zwischen Aufbrechenden und Sitzenbleibern können zu dieser Uhrzeit zwei Promille liegen. Und so ist es dann auch. Gesprochen hat Angelika mit beiden. Eine Runde junger Männer aus einer katholisch geprägten Region in Niedersachsen zeigt sich offen für ein Gespräch. Der gemeinsame Tenor: Super, dass die Kirche offener wird. Eigentlich längst überfällig! Wie wahr! Und überhaupt: „Ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch!“
Letzte Station an diesem Abend: die Kneipe Fasan in Eimsbüttel. Auch hier ist Angelika ganz fix in eine Unterhaltung über die St. Moment Idee vertieft.
„Mach ma noch einen!“
Die letzten drei Stammgäste sind gesellig, gesprächsbegeistert und haben heute vermutlich schon mehr „Mach ma noch einen!“ bestellt als andere vertragen können. Einer, Jürgen, war mal als junger Fußballer auf dem Cover des „Kickers“ zu sehen, das nun gerahmt an einem Ehrenplatz in der Kneipe hängt. Ein anderer nennt mir seine Mailadresse, damit ich ihm ein paar Fotos des Abends schicken kann. „Mach ich, Ehrensache!“ Der dritte trägt einen Mantel wie Buffalo Bill und sieht auch ein bisschen so aus. Er wünscht ganz viel Erfolg beim Missionieren. Angelika muss schmunzeln und wiederholt mit kippelnden Kopfbewegungen: „Missionieren…!?“
Fasan-Stammgäste Tave und Jürgen zeigen sich aufgeschlossen für die Idee mit der Kneipenhochzeit.
Eine Pastorin in der Kneipe? Der Videobeweis für die Daheimgebliebenen!
Wirt Martin mit Angelika am Fasan-Tresen. Auch er ist für die Ideen der evangelischen Kirche mit ihrer St. Moment Agentur offen.
Ich habe im Duden nachgeschlagen. Dort wird Missionieren mit Bekehren gleichgesetzt. Doch darum geht es Angelika nicht und so habe ich sie auch nie erlebt. Mein Verständnis nach diesem spannenden Abend: Angelika hat den Segen im Gepäck – dafür möchte sie werben. Und das tut Sie mit Tatendrang, Elan und von ganzem Herzen! Ich habe ihr vom Tag unserer gemeinsamen Kieztour an ganz fest alle Daumen gedrückt, dass es ihr gelingt, das Gremium von ihren Fähigkeiten zu überzeugen! Als besonders herausfordernd habe ich dabei empfunden, dass das Vorhaben St. Moment Agentur eine Top Secret-Angelegenheit war und ich niemand davon erzählen und schon gar keine Fotos zeigen durfte! Mit der heutigen Pressemitteilung ist aber alles ganz offiziell, womit das Jucken in den Fingern endlich ein Ende hat: ANGELIKA HAT DEN JOB – ZUSAGE! WOHOOO!
Für ein Abschlussfoto dieses aufregenden Abends zum Thema Kneipentrauung kann ich Angelika noch in einen Hamburger U-Bahnhof entführen, der sich als ganz ausgezeichnete Kulisse anbietet. Also mir gefällt’s!
Wenn du dir das Projekt St. Moment Agentur gerne von Angelika direkt erklären lassen möchtest, dann schau dir dieses zweiminütige Youtube-Video an:
In eigener Sache
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